Im Rahmen des Johannes-Kepler-Symposiums für Mathematik wird Prof. Dr. Urbaan Titulaer (Universität Linz) am 09.06.1999 um 17.00 Uhr im Hörsaal 10 einen öffentlichen Vortrag (mit anschließender Diskussion) zum Thema ,,Das Wechselspiel zwischen Mathematik und Physik`` halten, zu dem die Veranstalter des Symposiums, O.Univ.-Prof. Dr. Ulrich Langer und A.Univ.-Prof. Dr. Jürgen Maaß, hiermit herzlich einladen. Der Intention des Symposiums entsprechend ist der Vortrag so konzipiert, daß er nicht nur für Spezialisten, sondern auch für Studierende aller Semester und Gäste von außerhalb der Universität interessant ist.


DAS WECHSELSPIEL ZWISCHEN MATHEMATIK UND PHYSIK



Mathematik und Physik sind eine Weile lang gemeinsam aufgewachsen. In der Periode von Kepler und Newton bis Gauß und Euler war ihr gemeinsames Projekt das ,,Mechanische Weltbild``. Seit dem 19. Jahrhundert sind sie zum Teil eigene Wege gegangen. Nachdem klar geworden war, daß Axiome keine ,,ewige Wahrheiten``, sondern zum Teil frei wählbare Ausgangspunkte sind (nicht-Euklidische Geometrie) entwickelte sich die Mathematik zur strengen Theorie formaler Systeme. Die Physik, die sich weniger als die reine Mathematik ihre Probleme selbst wählen kann, hat diese Entwicklung nicht vollständig mitgemacht; ,,altmodische`` heuristische Verfahren leben in ihr fort. Einstein sagte in diesem Zusammenhang: ,,Raffiniert ist der Herrgott, aber boshaft ist er nicht``. Der Physiker hat immerhin immer noch neben der ,,internen`` Kontrolle der mathematischen Strenge die ,,externe`` Kontrolle durch das Experiment. Weiters kann er hoffen, daß die Mathematiker, wenn man ihnen Zeit läßt, die heuristischen Verfahren schon hoffähig machen werden. In einigen Fällen gelang das auch (Spektraltheorie unbegrenzter Operatoren, Distributionen).


Im Vortrag werden einige Beispiele erwähnt, in denen die Physik zu nicht trivialen ,,modernen`` mathematischen Problemen geführt hat, und wo umgekehrt moderne Mathematik Physiker inspiriert, geholfen, aber auch gelegentlich irregeführt hat. Die meisten Beispiele sind dem Gebiet des Vortragenden, der statischen Physik, entnommen, z.B. das Problem der Irreversibilität und das Verstehen von Phasenübergängen. Wie in der Analysis im 19. Jahrhundert ist auch hier die Herausforderung, vernünftig mit dem Begriff des Unendlichen umzugehen.